Dachgarten Freies Gymnasium Bern
Die Idee des "Zimmers unter freiem Himmel" von Le Corbusier

Die beabsichtigte Sanierung und energetische Ertüchtigung des Flachdachs des Freien Gymnasiums Bern (FGB) in Bern-Länggass gab Anlass zur durchgeführten Schutzwertabklärung. 

Das Gymnasium, welches in den 1970er-Jahren an seinem alten Standort unter akutem Platzmangel litt, beauftragte Architekt Daniel Reist mit der Realisierung des Schulneubaus auf der so genannten Beaulieumatte. Um den Schüler/innen zusätzlichen Freiraum anzubieten, entwickelte der Architekt zwei von Mauerscheiben gefasste Dachterrassen. Die direkt auf der Dachabdichtung stehenden Mauern dienten funktional als Fall-, Lärm- und Windschutz. In die Mauer pointiert gesetzte Fenster erlaubten den Blick auf ausgewählte Aussichtspunkte wie den Bachtel oder Gurten, den Münsterturm, die Kuppel des Parlamentsgebäudes oder das Gürbetal. Sich gegenüberliegende und in die Mauer integrierte Sitzbänke erlaubten den Blick auf den jeweils anderen Pausenhof.

Konzeptionell folgte Reist damit den Ideen Le Corbusiers und seiner Vorstellung vom Zimmer im Freien oder «Une salle de verdure – un intérieur». Le Corbusier mass dem Gegensatz von Abschirmung und Öffnung grosse Bedeutung bei, um die Wahrnehmung des Äusseren durch bildhafte Sequenzen zu akzentuieren. Der gerahmte Blick suchte nach der Ästhetik des horizontalen Blicks. Beide Stilelemente sollten im Betrachter gerade nicht den Eindruck vermitteln, sich in der freien Natur zu fühlen, sondern vielmehr wie der Passagier auf Deck eines Schiffes oder der Fahrer eines Kabrioletts in einer nach oben offenen Kabine. Frühe Beispiele der 1930er-Jahren stellten etwa die Dachterrassen des Warenhauses Karstadt (Berlin), das Rockefeller Center (New York) oder das Warenhaus Derry & Toms (London) dar. Die mannshohen Mauern schirmten die Terrassen von der Aussenwelt ab, um in das Kaufhaus- oder Dachgartenerlebnis einzutauchen. Jede äussere Ablenkung wurde ausgeblendet. In den 1970er-Jahren geriet zudem der Typus der "Terrassenschule" in den Fokus der Nachmoderne, insbesondere in Zentrumslagen. Pausenplätze lagen gestaffelt auf unterschiedlicher Gebäudehöhe und waren durch Freitreppen untereinander und mit der Strasse verbunden.

Der Dachgarten des FGB stellt eine wichtige Weiterentwicklung der Dachgartengestaltung der Nachkriegsmoderne dar. Aufgrund seiner besonderen formalen und ästhetischen Qualitäten sah unser Gutachten die Voraussetzungen als gegeben an, die ummauerten Terrassen als Schutzobjekt anzusprechen und empfahl die Unterschutzstellung der Mauerscheiben und Befensterungen.

Auftraggeber / Bauherr

Freies Gymnasium Bern
Städtische Denkmalpflege Bern 

Projektdaten

2018: Gutachten