Südländische Gartenkunst in Winterthur
Beispiel für den Tessiner Einfluss in der Schweizer Gartenkunst nach 1930

Der Garten der einst genannten «Villa am Herdträger» im Norden der Stadt Winterthur war als Ort der Sommerfrische konzipiert gewesen und diente dem Ausgleich zum beruflichen Leben des Bauherrn. Es war ein privater und intimer Ort, frei von gesellschaftlicher Repräsentation. Nukleus der Gartenanlage ist das 1934 projektierte Garten- und Gerätehaus, zu dem ein von Mauern umfriedetes Schwimmbad gehörte. Die hohen Mauern waren einem angenehmen Binnenklima zweckdienlich und öffneten den Garten gegen die Alpen. Um den Übergang in die Landschaft möglichst fliessend zu gestalten, senkte man den Badegarten gegen Süden durch das Abböschen des Rasens künstlich ab.

Der Badegarten stellte indes nur den Auftakt zum nachfolgenden Terrassengarten dar. Bei dessen Errichtung stützte der Bauherr gänzlich auf südländische und Tessiner Gartenbilder ab. Dabei kam ihm die steile Hanglage entgegen, die eine Terrassierung des Abhangs in mehrere Geländestufen ohne grössere Erdbewegungen erlaubte. Der Bauherr kreierte eine Abfolge an Gartenräumen, die additiv und ohne Rangordnung aneinandergefügt sind. Rustikales, von Wein überwachsenes Bruchsteinmauerwerk mit teilweiser Dachziegelabdeckung, Sitzplätze in Aussichtslage sowie steinerne Treppen und Wege mit wechselfarbigen Belägen, die von Wein, Rosen oder Glyzinien bewachsenen Pergolen aus behauenem Granit überspannt waren, boten eine Fülle ita­lienischer Gartenmotive, die dem Betrachter das Gefühl südländischer Sommerfrische vermittelten.

Der Bauherr folgte einer gärtnerischen Bewegung, die im Begriff war, sich nördlich der Alpen zu etablieren. Bereits vor 1930 schätzten wohlhabende und zu Wohlstand gekommene Deutschschweizer das Tessin als bevorzugten Sommersitz. Man erwarb Grundstücke zum Bau von Villen und Rustici und zur Anlage aufwendiger Gärten. Gartenarchitekten wie Fritz Klauser oder Ernst Cramer nahmen dabei nicht nur zunehmend Einfluss auf die Gartenentwicklung im Tessin. Sie übertrugen deren Gartenbilder gleichermassen in Gärten nördlich der Alpen, wo sie ihre Wirkung nicht verfehlten. Vermehrt kamen südländische Motive zur Ausführung, deren romantischen und bildhaften Ausstattungen den Wohngartenstil in der Schweiz prägen werden. Was den von Tessiner Motiven getragenen Terrassengarten darüber hinaus zu einem bedeutenden Werk seiner Zeit erhebt, war seine Ansammlung zahlreicher Antiquitäten aus vorindustrieller Zeit. Alte Mönchsziegel auf den Mauerkronen, schwere hölzerne oder eiserne Pforten mit geschmiedeten Nieten als Zierde und Natursteinquader aus älterem Mauerwerk – sie alle sind von unbekannter Herkunft und wurden hier zusammengetragen. Sie verbindet der alleinige Zweck, dem Garten durch deren Patina und Spuren des Handwerks wie Gebrauchs Geschichte und Authentizität zu verleihen. Sie liessen den Ort älter erscheinen als er in Wirklichkeit war.

Der Terrassengarten der «Villa am Herdträger» ist ein wertvolles Zeugnis des frühen Wohngartenstils in der Schweiz. Sein Charakter ist bestimmt von romantischen und rustikalen Bildern südländischer und Tessiner Gärten. Damit steht die Gartenpartie exemplarisch die damalige Begeisterung für die Sonnenstube der Schweiz, welche die schweizerische Gartenkunst zwischen 1930 und 1945 mit bestimmte. Spolien aus der Zeit vor 1800 verleihen dem Garten seine einmalige Wirkung und erheben ihn zu einem Unikat im Kanton Zürich. Die Gartenpartie wurde 2018 vom Winterthurer Stadtrat auf unsere Empfehlung hin formell unter Schutz gestellt.

Auftraggeber / Bauherr

Stadtgrün Winterthur 

Projektdaten

Sommer 2017: Schutzwertbeurteilung